Der „alte“ Bundestag hat noch vor der Bundestagswahl die grundlegende Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes beschlossen (mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 18.08.2021; BGBl. S. 3905). Zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes und vor allem zur Festlegung von Minderungszielen für Treibgasimmissionen für die Zeit ab dem Jahr 2031 war der Gesetzgeber mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021 verpflichtet worden. Darauf reagierte die alte Bundesregierung in Rekordzeit mit einem Gesetzentwurf, so dass die Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes schon am 31.08.2021 in Kraft getreten ist. Nach § 3 des Bundes-Klimaschutzgesetzes gilt seither: Die Treibhausgasimmissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 % und bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 % gesenkt; bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasimmissionen soweit gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird.

Diese ehrgeizigen nationalen Klimaschutzziele greift der Koalitionsvertrag der „Ampelkoalition“ besonders im Kapital „Klima, Energie, Transformation“ des Koalitionsvertrags auf. Die neue Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien zu einem zentralen Projekt ihrer Regierungsarbeit zu machen. Was das bedeuten soll, hat der neue Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (Habeck) inzwischen in seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ zusammengefasst.

Ungeachtet der aktuellen Diskussion auf europäischer Ebene hält der Koalitionsvertrag am deutschen Atomausstieg fest. Gleiches gilt für den Kohleausstieg. Idealerweise soll der Ausstieg aus der Kohleverstromung schon bis zum Jahr 2030 gelingen durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energie und die Errichtung moderner Gaskraftwerke. Erdgas sei für eine Übergangszeit unverzichtbar. Moderne Gaskraftwerke könnten etwa an bisherigen Kohlekraftwerksstandort gebaut werden. Damit sie auf klimaneutrale Gase wie Wasserstoff umgestellt werden können, müssen sie „H 2-ready“ gebaut werden. Der Ausbau der für eine leistungsfähige Wasserstoffwirtschaft notwendigen Import- und Transportinfrastruktur soll möglichst schnell vorangetrieben werden. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen nicht nur für eine schnellere Planung und Realisierung von Stromnetzen beschleunigt werden, sondern auch für Wasserstoffnetze.

Die neue Bundesregierung macht es zu ihrer „gemeinsamen Mission, den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“. Schon im Jahr 2030 sollen 80 % des Bruttostrombedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Dieses Ziel ist besonders ehrgeizig und schwer zu erreichen, weil der Strombedarf deutlich steigen wird (nach dem Koalitionsvertrag soll es schon im Jahr 2030 mindestens 15 Mio. Elektro-PKW in Deutschland geben). Den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien will die „Ampelkoalition“ mit einem Mix u.a. aus folgenden Instrumenten erreichen:

  • Es soll der dezentrale Ausbau der erneuerbaren Energien gestärkt werden – auch durch finanzielle Anreize für Kommunen und Bürger („Bürger-Energie“).
  • Die Photovoltaik soll auf eine installierte Gesamtleistung von ca. 200 Gigawatt bis zum Jahr 2030 ausgebaut werden. Dies entspräche im Vergleich zur derzeitigen Gesamtleistung mehr als einer Vervierfachung. Um das Ziel zu erreichen, soll die Nutzung von Dachflächen für die Solarenergie bei gewerblichen Neubauten verpflichtend und bei privaten Neubauten die Regel werden. Eine solche Verpflichtung besteht z.B. in Baden-Württemberg schon jetzt nach § 8a des Klimaschutzgesetzes Baden-Württemberg.
  • Die Windenergie an Land und Offshore soll die Hauptrolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien spielen:
    Neu ist die Zielvorgabe, dass für die Windenergie an Land 2 % der Landesflächen ausgewiesen werden sollen. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag vage, dass die nähere Ausgestaltung des Flächenziels im Baugesetzbuch erfolge. Es stellt sich etwa die Frage, wie sich dieses 2 %-Ziel mit Flächennutzungsplänen verträgt, die Konzentrationsflächen für eine kleinere Fläche darstellen und außerhalb der Konzentrationsflächen zu einer Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB führen.
    Repowering von Windparks soll künftig „ohne großen Genehmigungsaufwand möglich sein“. Es soll also offenbar eine Regelung geschaffen werden, die über den ebenfalls noch kurz vor der Bundestagswahl vom „alten“ Bundestag beschlossenen § 16b BImSchG hinausgeht.
    Die „Ampelkoalition“ hat erkannt, dass der Konflikt zwischen Windkraftausbau und Artenschutz sowie Abstände zu Drehfunkfeuern, Wetterradaren und Tiefflugkorridoren in vielen Fällen Genehmigungshindernisse sind. Der Koalitionsvertrag bleibt aber auch dazu relativ vage. Es ist etwa zweifelhaft, ob sich der Konflikt zwischen dem Windkraftausbau und dem Artenschutz allein dadurch wird entschärfen lassen, dass bei der Artenschutzprüfung von Windenergievorhaben bundeseinheitliche Bewertungsmethoden angewandt werden oder Antikollissionssysteme zum Einsatz kommen.
  • Bei den erneuerbaren Energien soll auch die Bioenergie mit einer nachhaltigen Biomasse-Strategie eine Zukunft haben. Auch die Geothermie soll künftig stärker zum Einsatz kommen.

Dr. Matthias Hangst
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