Nur wenige Tage nach seinem Urteil vom 28.05.2020 (C-719/18) (siehe dazu Aktuelles vom 03.06.2020) hatte der EuGH im Urteil vom 04.06.2020 (C-429/19) auf ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Koblenz Gelegenheit, den Begriff der „Zusammenarbeit“ zu schärfen, die nach Artikel 12 Abs. 4 RL 2014/24/EU (bzw. nach § 108 Abs. 6 GWB) zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern „vergaberechtsfrei“ vereinbart werden kann. Damit ist der zentrale Begriff der vergaberechtsfreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit geklärt.

Folgender Sachverhalt war zu bewerten: Ein öffentlicher Auftraggeber verpflichtete sich, die ihm von einem anderen öffentlichen Auftraggeber überlassenen Abfälle gegen Erstattung der dafür entstehenden Kosten in seiner mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlage zu behandeln. Im Rahmen der Kooperation erklärte sich der öffentliche Auftraggeber, dessen Abfälle in der Abfallbehandlungsanlage behandelt wurden, bereit, Teilmengen mineralischer Abfälle vom anderen öffentlichen Auftraggeber, dem Betreiber der mechanisch-biologischen Behandlungsanlage, zu übernehmen. Die Menge der zu übernehmenden mineralischen Abfälle sollte sich nach der Leistungsfähigkeit richten und im Einzelnen zwischen den Beteiligten unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen vereinbart werden. Im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens wurde deutlich, dass es sich bei der Erklärung der Bereitschaft, mineralische Abfälle zu übernehmen, um eine bloße Absichtserklärung handelte, die letztlich gegenstandslos war.

Das OLG Koblenz legte dem EuGH die Frage vor, ob eine Zusammenarbeit im Sinn des Art. 12 Abs. 4 RL 2014/24/EU schon dann vorliegt, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen anderen öffentlichen Auftraggeber beauftragt, einen notwendigen Teilschritt der Abfallentsorgung gegen Entgelt (Kostenerstattung) auszuführen.

Dies verneint der EuGH.

Der Begriff der Zusammenarbeit sei zwar in der Vergaberichtlinie nicht definiert. Erforderlich sei jedoch eine „echte Zusammenarbeit“. Der Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors habe eine ihrem Wesen nach „kollaborative Dimension“. Die Ausarbeitung einer Kooperationsvereinbarung setze deshalb voraus, dass die Einrichtungen des öffentlichen Sektors, die eine solche Vereinbarung treffen wollen, gemeinsam ihren Bedarf und die Lösungen dafür definieren. Eine Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors beruhe auf einer gemeinsamen Strategie der Partner dieser Zusammenarbeit und setze voraus, dass die öffentlichen Auftraggeber ihre Anstrengungen zur Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen bündeln.

Im Gegensatz dazu sei bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags die Phase der Bedarfsprüfung und der Bedarfsdefinition eine einseitige. Der öffentliche Auftraggeber veröffentliche eine Ausschreibung, in der die von ihm selbst festgelegten Spezifikationen aufgeführt sind.

Die im zu entscheidenden Fall getroffene Vereinbarung sei – so der EuGH – nicht das Ergebnis einer Initiative beider öffentlicher Auftraggeber zur Zusammenarbeit. Vielmehr scheine die Vereinbarung ausschließlich den Erwerb einer Leistung gegen Zahlung eines Entgelts zum Gegenstand zu haben. Der Umstand, dass die Vergütung des Betreibers der mechanisch-biologischen Behandlungsanlage auf eine Kostenerstattung ohne Berücksichtigung von Gewinnzuschlägen beschränkt war, und für die laufenden Betriebskosten erfolgte, und die Tatsache, dass es sich bei der Behandlung von Abfällen nur um eine Teilphase der Abfallentsorgung handelte, genügten dem EuGH nicht als Nachweis einer echten Zusammenarbeit zwischen den beiden öffentlichen Auftraggebern.

Während im Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU noch von einem „kooperativen Konzept“ die Rede ist, auf dem die vergaberechtsfreie öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit beruhen muss, entwickelt der EuGH den Begriff der Zusammenarbeit weiter zur „kollaborativen Dimension“. Danach müssen alle Partner einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit einen Leistungsbeitrag erbringen, der über die bloße Kostenübernahme hinausgeht, damit die Zusammenarbeit im Sinn des Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (bzw. im Sinn des § 108 Abs. 6 GWB) ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens vereinbart werden darf. Dies entspricht der Tendenz der Vergabenachprüfungsinstanzen, den Ausnahmetatbestand, dass öffentliche Auftraggeber eine Zusammenarbeit ohne vorausgehendes Vergabeverfahren vereinbaren können, eng auszulegen.

Dr. Andrea Vetter
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