Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause hat der Bundestag am 07.07.2022 das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) verabschiedet.

Hauptziel der Novelle ist die Beschleunigung des Ausbaus der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie an Land. Nach der Gesetzesbegründung erfordern die Ziele der Treibhausgasneutralität bis 2045 und der zeitnahen Unabhängigkeit von russischen Energieimporten ein hohes Tempo in den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Diese sollen vereinfacht und beschleunigt werden (BT-Drucks. 20/2354, S. 1).

Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagt dazu: „Mit den Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz ermöglichen wir straffere, schnellere und rechtssichere Verfahren für den Ausbau der Windenergie. Gleichzeitig wahren wir hohe ökologische Schutzstandards und unterstützen gefährdete Arten langfristig durch ein neues Artenhilfsprogramm.

Mit der Novelle wird ein neuer § 45b BNatSchG zum „Betrieb von Windenergieanlagen an Land“ geschaffen. Änderungen ergeben sich dadurch vor allem beim besonderen Artenschutz, genauer: dem artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG), das Windenergievorhaben häufig entgegengehalten wird.

Zum Hintergrund: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt der Betrieb einer Windkraftanlage gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot, wenn das Vorhaben das Kollisionsrisiko für geschützte Tiere in signifikanter Weise erhöht. Dabei bleibt es (vgl. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Um die Frage, ob eine solche signifikante Steigerung des Tötungsrisikos vorliegt, herrscht in der Praxis oft Streit. Für Brutvögel will die Gesetzesänderung jetzt Abhilfe schaffen.

Kollisionsgefährdete und damit prüfungsrelevante Brutvogelarten (z. B. der Rotmilan) werden in Anlage 1 zum BNatSchG abschließend aufgelistet und artenspezifische Prüfabstände festgelegt („Nahbereich“, „zentraler Prüfbereich“ und „erweiterter Prüfbereich“).

Dabei gilt:

  • Im „Nahbereich“ um den Brutplatz einer kollisionsgefährdeten Vogelart (je nach Vogelart: 350 m bis 1.500 m Abstand) gilt das Tötungs- und Verletzungsrisiko für diese Art als signifikant erhöht (§ 45b Abs. 2 BNatSchG n. F.). Im Ergebnis führt das zu einer „Tabuzone“ für Windkraftanlagen im Kernbereich des Gesamthabitats, die allenfalls über eine artenschutzrechtliche Ausnahme (§ 45 Abs. 7 BNatSchG) überwunden werden kann.
  • Im „zentralen Prüfbereich“ um den Brutplatz (je nach Vogelart: 450 m bis 3.000 m Abstand) besteht eine Regelvermutung für ein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko, das durch geeignete Maßnahmen (z. B. Habitatpotentialanalyse, Raumutzungsanalyse oder fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen) widerlegt werden kann (§ 45b Abs. 3 BNatSchG n. F.).
  • Im „erweiterten Prüfbereich“ um den Brutplatz (je nach Vogelart: 2.000 m bis 5.000 m Abstand) besteht eine Regelvermutung, dass kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliegt (§ 45b Abs. 4 BNatSchG n. F.). Etwas anderes soll nur gelten, wenn die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Exemplaren einer kollisionsgefährdeten Brutvogelart in dem vom Rotor überstrichenen Bereich deutlich erhöht ist und die signifikante Risikoerhöhung nicht durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen hinreichend verringert werden kann.
  • Außerhalb des „erweiterten Prüfbereichs“ ist das Tötungs- und Verletzungsrisiko nicht signifikant erhöht und Schutzmaßnahmen sind insoweit nicht erforderlich (§ 45b Abs. 5 BNatSchG n. F.).

Ob die artenspezifischen Prüfbereiche zu einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen führen werden, bleibt abzuwarten. Ihr Anwendungsbereich ist beschränkt: Nicht erfasst wird der Umgang mit der betriebsbedingten Kollisionsgefährdung von Ansammlungen (Kolonien, bedeutende Brut- und Rastgebiete, Schlafplatzansammlungen) bzw. während der Zeiten des Vogelzuges. Die Kollisionsgefahr während der Zugzeiten wird als Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot aber regelmäßig ebenfalls eingewandt. Verstöße gegen das Tötungsverbot bei der Errichtung von Windenergieanlagen sowie gegen die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BNatSchG sollen von der Neuregelung ebenfalls unberührt bleiben.

Mit der Novelle wird zudem im Gesetz klargestellt, dass der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient (§ 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG n. F.). Relevanz erlangt das vor allem für die Erteilung von Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 BNatSchG aus Gründen des öffentlichen Interesses (vgl. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 und 5 BNatSchG).

Weitere artenschutzbezogene Erleichterungen sind für das sog. Repowering von Windenergieanlagen an Land vorgesehen, also die Modernisierung von Anlagen(teile). Dazu sollen die windkraftspezifischen Regelungen des § 16b Abs. 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) in das Bundesnaturschutzgesetz überführt und ergänzt werden (§ 45c BNatSchG n. F.).

Außerdem sollen Windenergieanlagen in Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen in Landschaftsschutzgebieten errichtet und betrieben werden dürfen (§ 26 Abs. 3 BNatSchG n. F.).

 

Dr. Raphael Pompl
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