Die EU hat am 22.12.2022 die Verordnung (EU) 2022/2577 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien beschlossen. Die Verordnung ist bereits am 30.12.2022 in Kraft getreten. Der Bundesgesetzgeber hat nun im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften (ROGÄndG) ergänzende Regelungen geschaffen, die am 29.03.2023 in Kraft getreten sind. Beide Gesetzespakete sollen den Ausbau und die Nutzung erneuerbarer Energien beschleunigen:

1.  Projekte von überwiegendem öffentlichen Interesse

Die Schutzvorschriften zu Natura 2000, Artenschutz und Gewässern sehen jeweils Ausnahmen vor. Diese Ausnahmen setzen u.a. ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Gründe der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit voraus (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG, § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 und 5 BNatSchG, § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG). Art. 3 Abs. 1 VO 2022/2577 schreibt vor, dass die Planung, der Bau und der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen (ebenso ihr Netzanschluss, das betreffende Netz selbst und die Speicheranlagen) im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen. Nach Erwägungsgrund (8) ist das eine widerlegbare Vermutung. Die Erteilung entsprechender Ausnahmen wird damit erleichtert; es gibt aber noch andere Ausnahmevoraussetzungen.

Die genannten Projekte von überwiegenden öffentlichen Interesse erhalten nach Art. 3 Abs. 2 VO 2022/2577 in Zulassungsverfahren bei der fallweisen Abwägung der Rechtsinteressen Priorität. Beim Artenschutz gilt dies nur, wenn Artenschutzmaßnahmen ergriffen werden. Ein ähnlicher Abwägungsvorrang ergibt sich auch aus dem nationalen Recht (vgl. z.B. § 2 EEG).

2.  Ausnahmen von der UVP-Pflicht

Die Mitgliedstaaten können Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorsehen, sofern ein Projekt in einem für erneuerbare Energien oder Stromnetze vorgesehenen Gebiet durchgeführt wird, das die Mitgliedstaaten ausgewiesen haben und das einer strategischen Umweltprüfung unterzogen worden ist.

Das ROGÄndG sieht solche Ausnahmen vor für bestimmte Gebiete von

Solarenergieanlagen in § 14b UVPG,

Energieleitungen in § 43m EnWG,

Windenergieanlagen an Land in § 6 WindBG und

Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen in § 72a WindSeeG.

Die UVP-Pflicht und Pflicht zur UVP-Vorprüfung wird aber auch unabhängig von der Lage in einem bestimmten Gebiet eingeschränkt: Sie entfällt für Solarenergieanlagen auf Dächern oder Bauwerken und Energiespeicher am selben Standort, wenn das Hauptziel der baulichen Anlage nicht in der Erzeugung von Solarenergie besteht (Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EU) 2022/2577). Gleiches gilt für das Repowering von Solarenergieanlagen, wenn es keine zusätzlichen Flächen benötigt und den Umweltschutzmaßnahmen entspricht, die für die ursprüngliche Anlage festgelegt wurden (Art. 5 Abs. 4 Verordnung (EU) 2022/257). Soweit für andere Repowering-Projekte eine UVP erforderlich oder zu prüfen ist, sind nur die Auswirkungen der Änderung im Vergleich zum ursprünglichen Projekt relevant (Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EU) 2022/257). Die Vorschriften zum Repowering betreffen alle erneuerbaren Energien, also z.B. auch die Wasserkraft (Art. 2 Nr. 10 Richtlinie (EU) 2018/2001).

3.  Ausnahmen vom Artenschutz

Nach Art. 6 Verordnung (EU) 2022/2577 können die Mitgliedstaaten in den genannten Gebieten auch Ausnahmen vom Artenschutz vorsehen. In diesem Fall muss die zuständige Behörde sicherstellen, dass auf der Grundlage der vorhandenen Daten geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen ergriffen werden, um den unionsrechtlich vorgegebenen Schutz zu gewährleisten. Falls solche Maßnahmen nicht verfügbar sind, muss der Betreiber einen finanziellen Ausgleich für Artenschutzprogramme zahlen.

Das ROGÄndG sieht solche Ausnahmen vor für bestimmte Gebiete von

Energieleitungen in § 43m EnWG,

Windenergieanlagen an Land in § 6 WindBG und

Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen in § 72a WindSeeG.

Bei den hiervon erfassten Vorhaben wird von der Prüfung des Artenschutzes nach § 44 Abs. 1 BNatSchG abgesehen und es ist keine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatschG erforderlich. Entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben sieht das ROGÄndG vor, dass Minderungsmaßnahmen ergriffen werden und ein finanzieller Ausgleich für Artenhilfsprogramme geleistet wird. Für Windenergieanlagen an Land gilt die Einschränkung, dass das Windenergiegebiet nicht in einem Natura 2000-Gebiet, einem Naturschutzgebiet oder einem Nationalpark liegen darf. Für Windenergieanlagen auf See ist nach Ablauf von zwei Jahren auf Grundlage des Monitorings eine besondere artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen und sind, soweit erforderlich, erweiterte Minderungsmaßnahmen anzuordnen. Auch bei diesen Regelungen bleiben viele Fragen offen.

4.  Einschränkung des Abwägungsgebots

Für Energieleitungen ist in § 43m Abs. 1 EnWG geregelt, dass Belange, die wegen Wegfalls der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten sind, nur insoweit im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden, als diese Belange im Rahmen der zuvor durchgeführten strategischen Umweltprüfung ermittelt, beschrieben und bewertet wurden. Die Gesetzesbegründung hebt hervor, dass die im Rahmen der jeweiligen Strategischen Umweltprüfung ermittelte Datengrundlage für die Einbeziehung von Umweltbelangen in die Abwägung im Planfeststellungsverfahren maßgeblich und zugleich abschließend ist, auch bei hohem Abstraktionsgrad der vorangegangenen Strategischen Umweltprüfung. Eine Nachermittlung oder Vertiefung ist nicht notwendig. Diese Einschränkungen sind sehr weitgehend.

5.  Beschleunigung von Genehmigungsverfahren

Die Verordnung (EU) 2022/2577 regelt für bestimmte „Verfahren zur Genehmigungserteilung“ Fristen, die unmittelbar wirken, also keiner Umsetzung im nationalen Verfahrensrecht bedürfen. Für diese Genehmigungsverfahren gilt seit dem 30.12.2022 Folgendes:

  • Solarenergieanlagen: Das Verfahren zur Genehmigungserteilung für Solarenergieanlagen auf Dächern oder Bauwerken darf nicht länger dauern als drei Monate, wenn das Hauptziel der baulichen Anlage nicht in der Erzeugung von Solarenergie besteht. Gleiches gilt für Energiespeicher am selben Standort (Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EU) 2022/2577). Für Solarenergieanlagen mit einer Kapazität von höchstens 50 kW wurde eine Genehmigungsfiktion eingeführt, wenn die zuständigen Behörden oder Stellen innerhalb eines Monats nach Antragstellung „keine Antwort“ übermittelt haben und die bestehende Kapazität des Anschlusses nicht überschritten wird (Art. 4 Abs. 3 Verordnung (EU) 2022/257).
  • Repowering-Projekte: Das Verfahren zur Genehmigungserteilung für Repowering-Projekte einschließlich etwaiger Umweltverträglichkeitsprüfungen darf nicht länger dauern als sechs Monate (Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EU) 2022/257).
  • Wärmepumpen: Das Verfahren zur Genehmigungserteilung für Wärmepumpen mit einer elektrischen Leistung von unter 50 MW darf nicht länger als einen Monat dauern, jenes für Erdwärmepumpen nicht länger als drei Monate (Art. 7 Verordnung (EU) 2022/257).

 

Dr. Bernd Schieferdecker
Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Heilbronner Straße 41
70191 Stuttgart
(0711) 601 701-70
schieferdecker@doldemayen.de