Die neue Koalition plant tiefgreifende Reformen im Wahlrecht. Sie will hier gleich mehrere umstrittene Änderungen vornehmen.

Bereits im ersten Jahr der Legislaturperiode soll ein erneuter Versuch unternommen werden, das weitere Anwachsen des Bundestags über die gesetzliche Regelgröße von 598 Abgeordneten (§ 1 BWahlG) hinaus zu verhindern. Dadurch soll der Bundestag effektiv in Richtung der gesetzlichen Regelgröße verkleinert werden. Dabei betont die neue Koalition bereits im Koalitionsvertrag, dass sie unausgeglichene Überhangmandate ablehnt.

Daneben soll die Kommission zur Reform des Bundestagswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit erneut, wie schon in der letzten Legislaturperiode, eingesetzt werden. Diese soll Vorschläge zu den folgenden Themen ausarbeiten:

  • Paritätische Besetzung des Bundestags mit Frauen und Männern
  • Bündelung von Wahlterminen
  • Verlängerung der Legislaturperiode des Deutschen Bundestags auf fünf Jahre
  • Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers

Die Umsetzung dieser Themen dürfte nicht leicht werden. Eine Verlängerung der Legislaturperiode und eine Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers sind nur mit einer Änderung des Grundgesetzes realisierbar. Die hierfür gemäß Art. 79 Abs. 2 GG erforderliche 2/3-Mehrheit der Mitglieder des Bundestags kann nur mit den Stimmen der Opposition erreicht werden. Im Bundesrat – hier sind 2/3 der Stimmen des Bundesrats, also zurzeit 46 von 69 Stimmen erforderlich – gilt dies in besonderer Weise. Offen ist auch, ob der mit einer Paritätsregelung verbundene Eingriff in die Rechte der Wahlberechtigten sowie der politischen Parteien gerechtfertigt werden kann. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat dies bei der Überprüfung des Thüringer Paritätsgesetzes verneint (Urteil vom 15. Juli 2020 – VerfGH 2/20; ähnlich Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 23. Oktober 2020 – VfgBbg 9/19 und VfgBbg 55/19).

Einer Grundgesetzesänderung bedarf auch die von der Koalition geplante Änderung des aktiven Wahlrechts bei Bundestagswahlen auf sechzehn Jahre. Nach Art. 38 Abs. 2 Hs. 1 GG ist nur derjenige wahlberechtigt, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat. Für die ebenfalls im Koalitionsvertrag vorgesehene Änderung des Wahlalters bei den Wahlen zum Europäischen Parlament von achtzehn auf sechzehn Jahre bedarf es hingegen nur einer Änderung des einfachen Rechts in Form des Europawahlgesetzes.

Dr. Sebastian Nellesen
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