Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder am 15.04.2020 über die Verlängerung der Maßnahmen beraten, die im Zuge der Corona-Pandemie ergriffen wurden. Erklärtes Ziel ist es, in kleinen Schritten das öffentliche Leben wieder zu beginnen, den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Freizügigkeit zu ermöglichen und die gestörten Wertschöpfungsketten wiederherzustellen. Gleichzeitig muss selbstverständlich ein erneuter Anstieg der Infektionsraten mit dem Corona-Virus vermieden werden, um unser Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben hierzu mehrere Maßnahmen vereinbart, wie ab dem 20.04.2020 das öffentliche Leben teilweise wieder hochgefahren werden soll. Hierzu zählt unter anderem die Öffnung von Einzelhandelsbetrieben mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 m². Ausgenommen von dieser 800 m²-Grenze sind – neben den Lebensmittelbetrieben – Autohäuser, Fahrradgeschäfte und Buchhandlungen. Diese Maßnahme wurde in allen 16 Bundesländern in den jeweiligen Rechtsverordnungen zum Schutz gegen das Corona-Virus umgesetzt.

Die Grenzmarke von 800 m² wurde der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommen, wonach Einzelhandelsbetriebe „großflächig“ im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO sind, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten. Das Überschreiten der Grenze zur Großflächigkeit führt dazu, dass diese Einzelhandelsbetriebe aufgrund ihrer raumordnerischen und städtebaulichen Wirkungen regelmäßig nur in Kerngebieten und für sie festgesetzten Sondergebieten bauplanungsrechtlich zulässig sind. Die Verkaufsfläche eines Einzelhandelsbetriebs dient als Maßstab für die raumordnerischen und städtebaulichen Wirkungen eines Einzelhandelsbetriebs.

Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Kriterium aus dem städtebaulichen Planungsrecht geeignet ist, die Ungleichbehandlung der Einzelhandelsbetriebe bei den nun zugelassenen Öffnungen zu rechtfertigen. Zweck der Differenzierung zwischen großflächigen und nicht-großflächigen Einzelhandelsbetrieben ist es, die Zahl der Passanten in den Innenstädten gering zu halten, den öffentlichen Personennahverkehr von Fahrgästen zu entlasten und so das Risiko der Ansteckung mit dem Corona-Virus weiter zu reduzieren.

Die 800 m²-Grenze wäre nur dann ein taugliches Differenzierungskriterium, wenn zwischen dem Kundenaufkommen in der Innenstadt und der Verkaufsflächengröße ein Zusammenhang bestehen würde. Dass dies nicht zwingend der Fall ist, zeigt das Beispiel der Autohäuser. Sie dürfen auch dann öffnen, wenn ihre Verkaufsfläche über 800 m² liegt. Das ist nachvollziehbar. Autohäuser liegen nicht in den Innenstädten und die Kunden kommen nicht mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Hingegen wurde einem Outlet-Center die Öffnung untersagt, obwohl es ihm rechtlich möglich gewesen zu öffnen, da sich die Gesamtverkaufsfläche auf eine Vielzahl von Einzelhandelsbetrieben mit Verkaufsflächen jeweils unter 800 m² verteilt. Das VG Stuttgart hat den Eilantrag gegen diese Untersagungsverfügung abgelehnt, da es sich bei dem Outlet-Center um einen überregional beliebten Kundenmagneten handelt (Beschl. v. 22.04.2020 – Az. 16 K 1975/20).

Inzwischen haben sich auch schon einige Verwaltungsgerichte bzw. Oberverwaltungsgerichte mit der Frage der Rechtmäßigkeit der 800 m²-Grenze befasst. Sie sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. So haben das VG Hamburg (Beschl. v. 21.04.2020 – Az. 3 E 1675/20), das OVG Schleswig (Beschl. v. 24.04.2020 – Az. 3 MR 9/20) und der VGH München (Beschl. v. 27.04.2020 – Az. 20 NE 20.793) die 800 m²-Grenze als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG bewertet. Das OVG Bremen (Beschl. v. 23.04.2020 – Az. 1 B 107/20) und das OVG Lüneburg (Beschl. v. 27.04.2020 – Az.: 13 MN 98/20) halten diese Differenzierung hingegen für rechtmäßig. Das OVG Saarlouis unterscheidet zwischen branchenübergreifenden Kaufhäusern und Möbelhäusern. Mit Blick auf Kaufhäuser sei die Beschränkung auf 800 m² Verkaufsfläche rechtmäßig (OVG Saarlouis, Beschl. v. 24.04.2020 – Az. 2 B 122/20). Für Möbelhäuser stelle sie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar (OVG Saarlouis, Beschl. v. 27.04.2020 – Az. 2 B 143/20).

Dr. Maria Marquard
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