Darf das Kommunalwahlrecht aus Gründen des Infektionsschutzes geändert und auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes des Bundes angeordnet werden, dass eine Wahl nicht mehr als Urnenwahl mit optionaler Briefwahl, sondern als obligatorische Briefwahl durchgeführt wird? Mit dieser Frage hat sich das Verwaltungsgericht Hannover gestern in einer mehrstündigen mündlichen Verhandlung befasst, die als Videokonferenz durchgeführt wurde.

Hintergrund:

Bei der Wahl des Landrats des Landkreises Hameln-Pyrmont hatte im ersten Wahlgang am 08.03.2020 keiner der vier angetretenen Kandidaten die erforderliche Mehrheit erzielt. Die damit erforderliche Stichwahl zwischen dem Beigeladenen und einem Mitbewerber war ursprünglich für den 22.03.2020 angesetzt. Am 16.03.2020 kam es jedoch zum ersten „Corona-Lockdown“. Daher wurde am gleichen Tag entschieden, dass die Stichwahl auf den 04.05.2020 verschoben und diese aus Infektionsschutzgründen ausschließlich als Briefwahl durchgeführt wird. Der Beigeladene konnte die Stichwahl für sich entscheiden.

Der Kläger ist der Auffassung, durch die Anordnung der obligatorischen Briefwahl sei es zu einem Wahlfehler gekommen, der das Ergebnis wesentlich beeinflusst habe. Die obligatorische Briefwahl widerspreche inhaltlich dem Leitbild der Urnenwahl; zudem habe diese Entscheidung nicht auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes getroffen werden dürfen.

Das VG Hannover hat die Wahlprüfungsklage des Klägers gegen die Gültigkeit der Stichwahl abgewiesen.

Allerdings hat das Gericht die Frage, ob das damals geltende Wahlrecht aus Gründen des Infektionsschutzes modifiziert werden durfte, offen gelassen. Ein möglicher Wahlfehler sei nicht nur unvermeidbar gewesen, sondern habe auch keinen wesentlichen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. Es war für das Gericht nicht feststellbar, dass es mit einer konkreten, nach der Lebenserfahrung begründeten Wahrscheinlichkeit zu einer Verfälschung des Wählerwillens gekommen ist. Der unterstellte Wahlfehler habe sich auf alle Wahlberechtigten gleichermaßen ausgewirkt. Eine messbare Bevor- oder Benachteiligung eines Stichwahlkandidaten sei nicht feststellbar. Eine Einschränkung einzelner Wählergruppen sei zudem nicht erkennbar, zumal die Wahlbeteiligung um über fünf Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Wahlgang gestiegen sei.

Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Man wird darauf gespannt sein können, ob das Urteil obiter dicta zu der Frage der Zulässigkeit einer Änderung des Wahlmodus aus Gründen des Infektionsschutzes enthält.

Hier geht es zu der Pressemitteilung des VG Hannover vom 24.06.2021:

https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/streit-um-gultigkeit-der-wahl-des-landrats-des-landkreises-hameln-pyrmont-201699.html

Der Beigeladene wurde im Verfahren vor dem VG Hannover von Professor Dr. Thomas Mayen und Dr. Sebastian Nellesen vertreten.

Prof. Dr. Thomas Mayen
Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rheinauen Carré
Mildred-Scheel-Straße 1
53175 Bonn
(0228) 323 002-10
mayen@doldemayen.de

 

Dr. Sebastian Nellesen
Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rheinauen Carré
Mildred-Scheel-Straße 1
53175 Bonn
(0228) 323 002-80
nellesen@doldemayen.de