Mit der Grundsatzentscheidung von 2009 zur „Stadtreinigung Hamburg“ hat der EuGH erstmals Rahmenbedingungen aufgezeigt, unter denen ein Vertrag über eine interkommunale Kooperation bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt. Er hat die Rechtsprechung in weiteren Urteilen zu folgenden Grundsätzen weiterentwickelt:

Die Vergabevorschriften sind nicht auf Verträge anwendbar, mit denen eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen zur Wahrnehmung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe vereinbart wird, sofern solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer besser gestellt wird als seine Wettbewerber und die Zusammenarbeit nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen.

In Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sind die Grundsätze inzwischen kodifiziert. Erläuterungen dazu lassen sich den Erwägungsgründen 31 und 23 dieser Richtlinie entnehmen. § 108 Abs. 6 GWB setzt die Richtlinienbestimmung in deutsches Recht um. Weder der europäischen Regelung noch der deutschen Umsetzung ist es allerdings gelungen, alle Fragen, die sich zur „vergaberechtsfreien“ horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit schon aufgrund der Rechtsprechung des EuGH stellten, zu beantworten. Das OLG Düsseldorf hat dem EuGH deshalb mit einem Vorabentscheidungsersuchen vom 28.11.2018 drei Fragen vorgelegt, die der EuGH nun mit Urteil vom 28.05.2020 (C-719/18) beantwortet.

Gegenstand der vergaberechtlichen Auseinandersetzung ist ein Vertragswerk zwischen dem Land Berlin und der Stadt Köln, mit dem das Land Berlin der Stadt Köln „kostenneutral“ Software zur Leitung von Feuerwehreinsätzen überlässt. Die Stadt Köln verpflichtet sich ihrerseits, Module, die sie zu der Software entwickelt bzw. entwickeln lässt, dem Land Berlin „kostenneutral“ anzubieten. Trotz bzw. wegen der vereinbarten wechselseitigen Kostenfreiheit der Überlassung der Software bzw. der dazu entwickelten Module qualifiziert der EuGH das Vertragswerk als „entgeltlichen“ Vertrag und damit als öffentlichen Auftrag im Sinn des Vergaberechts, den die Stadt Köln vergibt. Die Entgeltlichkeit der interkommunalen Zusammenarbeit sieht der EuGH darin, dass eine Anpassung der Feuerwehreinsatz-Software durch einen der Partner von offenkundigem finanziellem Interesse für den anderen Partner ist und dass von entsprechenden Anpassungen auszugehen ist. Wenn die Verpflichtung zur kostenfreien Überlassung der Basissoftware und die Verpflichtung zur kostenfreien Überlassung der weiter entwickelten Module in einem synallagmatischen Verhältnis stehen, sei das gesamte Vertragswerk deshalb als entgeltlicher Vertrag zu qualifizieren.

Anknüpfend daran stellte sich die Frage, ob der Vertrag über den öffentlichen Auftrag vergaberechtsfrei geschlossen werden konnte, weil eine interkommunale Kooperation im Sinn des Art. 12 Abs. 4 der RL 2014/24/EU (bzw. im Sinn des § 108 Abs. 6 GWB) vorliegt. Dies setzt nach der Richtlinienformulierung und der Formulierung in § 108 Abs. 6 GWB eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern voraus mit dem Ziel sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden. Dazu wurde in Rechtsprechung und Literatur gefordert, dass sich die Zusammenarbeit auf die Wahrnehmung einer oder mehrerer allen Auftraggebern obliegenden öffentlichen Aufgaben beziehen muss. Der EuGH hat nunmehr auf die Frage des OLG Düsseldorf geantwortet, dass auch Tätigkeiten, die zu den von jedem an der Zusammenarbeit Beteiligten – und sei es allein – zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen akzessorisch sind, von der Richtlinienbestimmung und entsprechend auch von § 108 Abs. 6 GWB erfasst werden. Eine vergaberechtsfreie öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit kann sich danach auch auf „Hilfstätigkeiten“ beziehen, die zur wirksamen Erbringung unterschiedlicher öffentlicher Dienstleistungen der Kooperationspartner beitragen.

Mit der dritten Frage wollte das OLG Düsseldorf wissen, ob die Richtlinienbestimmung über die Vergaberechtsfreiheit der öffentlich-öffentlichen Kooperation dahin auszulegen sei, dass eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht dazu führen darf, dass ein privates Unternehmen besser gestellt wird als seine Wettbewerber und welchen Inhalt dieser Grundsatz hat. Die Frage, ob das Verbot, ein privates Unternehmen durch die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit besser zu stellen als seine Wettbewerber, gilt, stellt sich deshalb, weil diese Voraussetzung zwar im Erwägungsgrund 33 der RL 2014/24/EU, nicht jedoch in Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie (und entsprechend auch nicht in § 108 Abs. 6 GWB) erwähnt wird. Diese Auslassung qualifiziert der EuGH als „bedauerlich im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit“, weil er an dem Grundsatz festhalten will. Im konkreten Fall stellte sich deshalb die – nun vom OLG Düsseldorf zu klärende – Frage, ob die Firma, von der das Land Berlin die Software erworben hat, bevor sie es entgeltfrei der Stadt Köln überlassen hat, bei der Anpassung, Pflege und Weiterentwicklung dieser Software einen Wettbewerbsvorsprung hat, weil nur die Firma über den Quellcode der Software und die erforderlichen Kenntnisse für deren Weiterentwicklung verfügt. Stellt das OLG Düsseldorf im weiteren Verfahren solche nur mittelbaren Vorteile des ursprünglichen Herstellers der Software fest, ist nach dem Urteil des EuGH die Zusammenarbeit zwischen dem Land Berlin und der Stadt Köln beim Austausch der Software und der Software-Module nicht vergaberechtsfrei.

Mit dem Urteil des EuGH vom 28.05.2020 sind längst nicht alle Fragen geklärt, die sich zur Vergaberechtsfreiheit der „horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit“ stellen. Die Berücksichtigung mittelbarer privater Interessen, die sich aus der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit ergeben und einer Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 4 RL 2014/24/EU (bzw. § 108 Abs. 6 GWB) entgegenstehen können, ist im Gegenteil ein Gesichtspunkt, der weitere Unsicherheiten schaffen kann.

Dr. Andrea Vetter
Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Heilbronner Straße 41
70191 Stuttgart
(0711) 601 701-30
vetter@doldemayen.de