Mit Urteil vom 30.10.2019 hat das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) aufgegeben. Zugleich hat es entschieden, dass ein Album mit weitgehend gewaltverherrlichenden und massiv diskriminierenden Songtexten als jugendgefährdend indiziert werden kann.

Bundesprüfstelle als Paradebeispiel für Beurteilungsspielraum

Der Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle war eines der Paradebeispiele für Fälle, in denen die Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum von Behörden annimmt. In der insoweit grundlegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.1971 (BVerwGE 39, 197) hat das Bundesverwaltungsgericht den Beurteilungsspielraum ausschließlich mit der Unabhängigkeit und der pluralistischen Besetzung der Bundesprüfstelle begründet. Nach dem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.11.1990 (BVerfGE 83, 130, 148) einen Beurteilungsspielraum bei der Abwägung zwischen Kunst und Jugendschutz sowie bei der Einschätzung eines Werkes als Kunstwerk abgelehnt, ansonsten aber die Frage eines Beurteilungsspielraums offen gelassen hat, hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26.11.1992 entschieden, dass die Gerichte bei der Prüfung der Indizierung eines Kunstwerkes zu respektieren haben, dass das Gesetz die Abwägung der widerstreitenden Belange Jugendschutz und Kunstfreiheit der zum Zweck der Grundrechtsoptimierung pluralistisch zusammengesetzten Bundesprüfstelle anvertraut hat und damit die bisherige Rechtsprechung nur leicht modifiziert (BVerwGE 91, 211). Dies hatte das Bundesverwaltungsgericht zuletzt mit Urteil vom 18.02.1998 (BVerwG, NJW 1999, 75 ff.) bestätigt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht sich im sogenannten Investitionszulage-Beschluss vom 31.05.2011 (BVerfGE 129,1) der normativen Ermächtigungslehre angeschlossen hat, hat der 6. Senat in diversen anderen Kontexten bereits entschieden, dass die Entscheidung durch eine weisungsunabhängige und fachkundig bzw. pluralistische besetzte Stelle für sich keinen Beurteilungsspielraum rechtfertigt.

Mit dem Urteil vom 30.10.2019 (BVerwGE 6 C 18.18) gibt das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle auf. Es setzt damit die gegenüber Beurteilungsspielräumen zunehmend skeptische Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts fort und bringt sie im Bereich des Jugendschutzes zum Abschluss.

Verfahren und Entscheidung

Das Verfahren betraf die von der Bundesprüfstelle vorgenommene Indizierung des Albums „Sonny Black“ des Rappers Bushido. Die Texte des Albums beschreiben den kriminellen Lebenswandel der Titelfigur, die von dieser begangenen Straftaten und deren permanenten Gewaltbereitschaft enthält nahezu durchgängig herabwürdigende Äußerungen in Bezug auf Frauen und Homosexuelle in vulgärer Sprache. Ein Verfahren vor der Bundesprüfstelle führte zu der Entscheidung, das Album in die Liste der jugendgefährdenden Medien einzutragen. Eine solche Eintragung zieht unmittelbar kraft Gesetzes Verbreitungs- und Werbeverbote nach sich, die verhindern sollen, dass sich Minderjährige das indizierte Werk beschaffen können.

Nachdem verwaltungsgerichtliche Eilverfahren gegen die Indizierung ebenso wie die Hauptsache in erster Instanz ohne Erfolg geblieben waren, hat das Oberverwaltungsgericht Münster die streitgegenständliche Entscheidung mit Urteil vom 16.05.2016 aufgehoben. Zur Begründung hatte es ausgeführt, dass im Verwaltungsverfahren die neben dem Kläger weiteren Urheber des Albums nicht ordnungsgemäß angehört wurden und diese Anhörung auch nicht in der ersten Instanz durch das Verwaltungsgericht nachgeholt werden konnte, das die Bundesprüfstelle über einen Beurteilungsspielraum verfüge, was eine Nachholung der Anhörung ausschließe.

Die Revision der Bundesprüfstelle hiergegen hatte vorm Bundesverwaltungsgericht Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung nicht fortgeführt und ein Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle nicht mehr anerkannt. Daher kann allein wegen der unterbliebenen Anhörung der weiteren am Album beteiligten Künstler im Verwaltungsverfahren die Indizierungsentscheidung nicht aufgehoben werden. In der Sache erwies sich die Indizierungsentscheidung rechtmäßig, da das Album nach den durch den Kläger nicht erschütterten Feststellungen der Bundesprüfstelle jugendgefährdende Wirkungen hat. Ebenfalls konnte der Kläger die Beurteilung des Kunstgehalts des Albums als bloße Unterhaltung auch durch ein vorgelegtes Gutachten nicht erschüttern.

Die Revisionsverhandlung hatte aufgrund der Prominenz des Klägers große Resonanz in den Medien. Ein ausführlicher Bericht ist z.B. auf der Mediathek des ZDF abrufbar: https://www.zdf.de/nachrichten/heute/urteil-bushido-album-jugendgefaehrdend-100.html

Die Bundesprüfstelle wurde im Revisionsverfahren von Dr. Frank Hölscher vertreten.

Dr. Frank Hölscher
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