Beim sog. freiwilligen Delisting geht es um den Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum regulierten Markt an einer Börse, der nicht aus einem übergeordneten öffentlichen Interesse erfolgt, sondern auf Antrag des Emittenten, der die von ihm begebenen Aktien pp. nicht mehr an der Börse handeln lassen will. Die Entscheidung über das Delisting ergeht als Verwaltungsakt; verwaltungsrechtlich handelt es sich um eine Sonderform des Widerrufs eines begünstigenden Verwaltungsaktes. Materiell stehen sich beim Delisting die Entscheidungsfreiheit des Emittenten und der Anlegerschutz der betroffenen Aktionäre, deren Aktien der Wertverlust droht, gegenüber.

I.

Die rechtlichen Konturen des freiwilligen Delisting haben sich in stetem Wechselspiel zwischen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Impulsen entwickelt (näher dazu Mayen, ZHR 179 [2015], 1 ff.).

(1)    Im 3. Finanzmarktfördergesetz vom 24.03.1998 (BGBl. I S. 529) wurde das Delisting erstmals gesetzlich geregelt. Dies erfolgte – öffentlich-rechtlich – im Börsengesetz (§ 43 Abs. 4 BörsG 1998; später § 39 Abs. 2 BörsG i.d.F. des Gesetzes vom 16.07.2007, BGBl. I S. 1330). Die gesetzlichen Vorgaben waren knapp gefasst:

–       Der Widerruf durfte nicht dem Schutz der Anleger widersprechen;

–       der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs durfte zwei Jahre nicht überschreiten;

–       nähere Bestimmungen über den Widerruf waren in der Börsenordnung zu treffen.

(2)    Mit der sog. Macroton-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2002 (BGHZ 153, 47 [54 ff.]) folgte auf höchstrichterlicher Ebene erstmals die aktienrechtliche Antwort. Der 2. Zivilsenat entschied, der aktienrechtlich gebotene Schutz der Minderheitsaktionäre könne nur durch einen Hauptversammlungsbeschluss und darüber hinaus ein Pflichtangebot des Mehrheitsaktionärs oder der Gesellschaft über den Kauf ihrer Aktien erreicht werden (BGHZ 153, 47 [54 f., 56 f.]). Dem lag die (verfassungsrechtliche) Prämisse zugrunde, der Schutz des Anteilseigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG verlange, dass den Minderheitsaktionären im Falle eines Delisting der volle Verkehrswert ihrer Aktien ersetzt werde, der diesen aufgrund der bisherigen Zulassung zum Börsenhandel zukam (BGHZ 153, 47 [57]). Insoweit gewährleiste der öffentlich-rechtliche Anlegerschutz keinen hinreichend wirksamen Minderheitenschutz und müsse damit von Verfassungs wegen – zivilrechtlich – ergänzt werden (BGHZ 153, 47 [56]).

(3)    Die verfassungsrechtliche Prämisse dieser Rechtsprechung hat sodann das Bundesverfassungsgericht korrigiert und klargestellt, dass der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt gar nicht erst den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs berührt. Dies schließe es allerdings nicht aus, dass der BGH einfachrechtlich im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ein Pflichtangebot des Mehrheitsaktionärs oder der Gesellschaft fordert (BVerfGE 132, 99 [Rn. 50 ff.]).

(4)    Der zivilrechtliche „Return“ erfolgte in diesem Fall durch den Gesetzgeber. Nachdem der BGH – zur Überraschung der meisten Beobachter – in der sog. Frosta-Entscheidung vom 08.10.2013 seine bisherige Rechtsprechung aufgab und nunmehr betonte, es lasse sich nicht feststellen, dass der durch § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG gewährleistete Schutz durch das Börsengesetz unzureichend und darüber hinaus gesellschaftsrechtlich ein Barabfindungsgebot erforderlich sei (BGH, WM 2013, 2213 [Rn. 13]), wurden die Anforderungen an das freiwillige Delisting durch Gesetz vom 26.11.2015 (BGBl. I S. 2029) wiederum primär zivilrechtlich geregelt. Bei Wertpapieren im Sinne des § 2 Abs. 2 WpÜG ist ein Widerruf „nur zulässig“, wenn bei Antragstellung unter Hinweis auf den Antrag eine Unterlage über ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere, die Gegenstand des Antrags sind, nach den Vorschriften des WpÜG veröffentlicht wurde (§ 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG) oder die Aktien des Emittenten an einer anderen Börse zum regulierten Markt zugelassen sind (§ 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BörsG). wichtig ist. Die (umfangreichen) Anforderungen des § 39 Abs. 3 BörsG an das Erwerbsangebot sind von den Zivilgerichten zu überprüfen, nicht von den öffentlich-rechtlichen Börsen (§ 39 Abs. 6 BörsG), ihnen obliegt nur noch die formale, nicht inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG (so ausdrücklich BT-Drucks. 18/5010, S. 7).

II.

Wer nun dachte, damit wäre die Schlacht zugunsten des Zivilrechts entschieden, der hat die Rechnung ohne die Verwaltungsgerichte gemacht. Mit dem hier vorgestellten Urteil vom 08.03.2019 (2 K 6239/17.F) hat das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. ein weiteres öffentlich-rechtliches Kapitel hinzugefügt – und zwar ausgerechnet in einer Frage, die bisher im zivilrechtlichen Schrifttum ausgetragen worden war.

Konkret geht es darum, ob ein freiwilliges Delisting auch zulässig sein soll, wenn für den Emittenten der zugelassenen Aktien Insolvenzantrag gestellt wurde; da hier das Übernahmeangebot für den Gläubigerschutz nichts bewirken könne, wird im Schrifttum gefordert, den § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG im Wege der teleologischen Reduktion zu korrigieren (vgl. dazu etwa Häller, ZIP 2016, 1903 [1907]).

Im Streitfall hat der Kläger – ein Insolvenzverwalter – diesen Ansatz aufgegriffen und im Wege der Verpflichtungsklage (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) geltend gemacht, dem Emittenten stehe ein Anspruch auf Widerruf nach § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG auch dann zu, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet ist und der Insolvenzverwalter gegenüber der Börsengeschäftsführung bestätigt habe, dass eine Fortsetzung der Gesellschaft nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht in Betracht komme und zudem keine Aussicht bestehe, dass nach Rückführung aller Verbindlichkeiten Gelder zur Ausschüttung an die Gesellschafter gemäß § 199 Satz 2 InsO blieben.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. hat diesem Ansatz nun eine Absage erteilt. Es hat in dem hier vorgestellten Urteil vom 08.03.2019 entschieden, dass eine solche teleologische Reduktion die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschreite. Sie widerspreche nicht nur dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte, sondern auch dem Zweck des § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG. Denn nach der Rechtsauffassung des Klägers werde der Börse eine umfangreiche Einzelfallprüfung überantwortet; demgegenüber habe die Neufassung des § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG die Prüfung der Börsengeschäftsführung auf formale Gesichtspunkte beschränkt.

Fundstelle: VG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.03.2019 – 2 K 6239/17.F (nicht rechtskräftig)

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Prof. Dr. Thomas Mayen
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